„Das ist kein Urlaub in der Sonne“
Die Klimakatastrophe sorgt auch bei uns für eine Zunahme der Hitzetage. Besonders heizen sich im Sommer die Innenstädte auf. Genau hier halten sich Menschen ohne Wohnung oft auf. Weil die existenziellen Hilfsangebote nah sind, weil hier auch nachts noch ein Kiosk oder Imbiss geöffnet ist, weil hier ein bisschen Geld mit Flaschensammeln oder Betteln zu verdienen ist. Wir haben mit Menschen gesprochen, die ihren Tag in der Dortmunder Innenstadt verbringen, auch mit VerkäuferInnen des Straßenmagazins, und gefragt, wie sie sich gegen heiße Tage wappnen.
Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

Armin
Ich persönlich finde den Sommer schlimmer als den Winter. Das Schlimmste ist, dass man sich vor der Hitze nicht verstecken kann. Wenn man eine Wohnung hat, dann kann man da ja rumlaufen, wie man möchte. Du kannst dich aber nicht nackt in die Stadt setzen. Also kannst du schon. Aber nicht lange. Die Leute gucken meist schon, wenn du barfuß unterwegs bist und in einen Supermarkt oder ein Geschäft gehst.
Vor der Kälte im Winter kannst du dich besser schützen, wenn du dich ein bisschen kümmerst. Eine Jacke und ein paar warme Socken bekommst du immer irgendwo her organisiert. Vielleicht findest du auch eine Garage oder einen Keller. Wenn es erst mal ein paar Tage richtig heiß gewesen ist, dann ist die Hitze überall. Wenn du dann nirgends reingehen kannst, wird es schlimm. Und Läden mit Klimaanlage sind meistens nicht so gastfreundlich, dass man sich da länger aufhalten kann, wenn man nichts kauft oder isst. Wenn es gar nicht mehr geht, dann halte ich meine Füße auch mal gerne in einen Springbrunnen. Aber das kannst du ja auch nicht überall machen, ohne dass du Ärger bekommst.
Rolak
Der Sommer stört mich eigentlich nicht. Ich schwitze zum Glück nicht so schnell. Ich hab selbst noch lange Kleidung an, wenn es schon sehr warm ist und meine Kollegen jammern. Das schützt ja auch vor Hitze und der Sonne. Auch wenn ich keinen Sonnenbrand bekomme.
Die Leute sind im Winter aber meistens viel spendabler. Wenn es kalt ist, haben die Leute Mitleid mit dir, weil sie wissen, dass sie später nach Hause ins Warme gehen können. Da bekommt man auch mal Trinkgeld oder jemand bringt dir einen Kaffee mit.
Im Winter ist es auch einfacher, die bodo zu verkaufen. Im Sommer schwitzen die Leute, die in die Stadt gehen, aber selbst und denken, wir machen Urlaub in der Sonne. Auch wenn es harte Arbeit ist hier den ganzen Tag zu stehen. Zum Glück kommt bodo im Sommer mittags immer vorbei und bringt Wasser.
Stratos
Ich erinnere mich noch an den Sommer 2019. Der Sommer war unglaublich heiß. An manchen Tagen war es so heiß, dass an den Trinkbrunnen in der Stadt manchmal sogar Schlangen waren. Damals war ich noch kein bodo-Verkäufer und habe noch in der Innenstadt gesessen. An richtig heißen Tagen sind die Plätze im Schatten in der Stadt richtig begehrt. An einem Tag hatte ich die Hitze wohl unterschätzt und nicht darauf geachtet, dass ich im Schatten sitze. Abends waren es dann immer noch 30 Grad und ich bekam furchtbare Kopfschmerzen und Schüttelfrost und habe wie verrückt gefroren. Seitdem bin ich sehr viel vorsichtiger geworden, wenn es so heiß ist.
Besonders unangenehm sind auch Insekten, wenn du auf der Straße pennst. Ich erinnere mich an so manche Nacht, in der mich die Mücken oder anderes Viehzeug wach gehalten haben. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits willst du aus der Innenstadt raus und dir einen Platz etwas außerhalb suchen, weil es sich in der City nachts irgendwann gar nicht mehr abkühlt, weil die Häuser so aufgeheizt sind. Weiter draußen im Wald oder am Wasser machen dich dann aber die Insekten wahnsinnig.

Jürgen
Ich trage, sobald es Sommer wird, eigentlich immer eine Kappe. Das ist ganz praktisch, weil man die auch nass machen kann. Mein Verkaufsplatz ist direkt an einem Trinkbrunnen. Wenn der in Betrieb ist, habe ich zum Glück immer genug Wasser. Ich erinnere mich aber auch an einen Sommer, in dem es so heiß war, dass es mich mal voll umgehauen hat. Da hab ich den ganzen Tag mit Schwindel und Kopfschmerzen flach gelegen. Seitdem achte ich sehr genau drauf, dass ich genug trinke und immer was auf dem Kopf habe.
Auch die Nächte sind im Sommer schwierig. Wenn ich bei Freunden schlafe, ist es okay. Ich habe aber auch mein Zelt in einem kleinen Waldstück. Im Wald ist es zwar immer etwas kühler als in der Stadt, aber im Zelt auch unglaublich stickig. Man kann auch hier und da mal in den Kanal springen, um sich abzukühlen, aber das ist natürlich auch nicht so toll, wenn man danach nicht duschen kann. Das mache ich dreimal in der Woche im Hygienezentrum von bodo und Gast-Haus. Im Winter reicht das. Im Sommer könnte ich das auch öfter machen.
Ich glaube aber, dass ich mittlerweile auch gegen die Hitze einigermaßen abgehärtet bin. Ich hatte mal einen Job in einem Schmelzwerk und habe früher eine Zeit in Thailand verbracht. Da hab ich mir viel abgeguckt von den Leuten dort. Zum Beispiel warme Getränke trinken, obwohl es heiß ist.
Stefan
Als ich noch kein Fahrrad hatte, war mein Bewegungsradius im Sommer immer ziemlich eingeschränkt. Ich bin immer viel herumgelaufen. Bin aus der Dortmunder Innenstadt bis zur Universität gelaufen, um da den Tag zu verbringen. Habe an der Uni was gegessen. Wenn es so richtig heiß war, habe ich die Strecke manchmal nicht mehr geschafft. Wenn du auf der Straße lebst, machst du eh so manchen Kilometer zwischen den verschiedene Hilfsangeboten. Um in der Mittagshitze lange Strecken zu schaffen, musst du schon fit sein.
Mittlerweile hab ich mein Fahrrad. Darauf kann ich auch mein Zeug lagern. Du willst dich ja tagsüber ausziehen, brauchst aber nachts vielleicht doch deine Jacke zum Schlafen. Wer die nirgends lassen kann, behält sie halt an. Auch wenn es warm ist. Viele Leute haben ja nur das, was sie am Körper tragen.
Besser ist der Sommer für Pfandsammler. Gerade im Sommer sind die Leute natürlich draußen unterwegs, wenn sie ihr Bierchen trinken. Da kann man schon mehr Geld verdienen als im Winter. Da sind die Leute zuhause und man ist abends draußen unter sich.
Stadt für alle
Kommentar von Alexandra Gehrhardt
In der Wohnungslosenhilfe war lange Zeit vor allem der Winter eine besorgniserregende Zeit: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist die Straße lebensgefährlich. Mit der zunehmenden Aufheizung der Städte gilt das auch für den Sommer. Denn mit Obdachlosen trifft sie eine hochvulnerable Gruppe: Wohnungslose sind gegenüber der Normalbevölkerung deutlich häufiger von Herz-Kreislauf- oder Gefäßerkrankungen betroffen. Von einer „eklatanten gesundheitlichen Unterversorgung“ vor allem bei Wohnungslosen ohne Unterkunft spricht eine Studie der GISS zu verdeckter Wohnungslosigkeit in NRW. Weil viele nicht versichert sind – laut der Studie haben 40 Prozent aller und 75 Prozent der EU-zugewanderten Wohnungslosen keine Krankenversicherung – bleiben viele Erkrankungen unzureichend oder gar nicht behandelt. Den Hitzeinseln nicht ausweichen zu können, macht den Aufenthalt draußen zur täglichen Belastung. Das gilt übrigens nicht nur für Obdachlose, sondern auch für Ältere, Vorerkrankte und andere Menschen, die Städte außerhalb der Shopping Malls nutzen müssen oder wollen.
Was kann, was muss man tun? Einerseits helfen Sofortmaßnahmen: das Verteilen von Sonnenschutz und kostenlosem Trinkwasser, das Aufstellen von Pavillons und Sonnensegeln, um Schattenplätze zu schaffen, und Duschmöglichkeiten in Tagesaufenthalten, Anlauf- und Beratungsstellen. Bochum bündelt solche Maßnahmen in einem Hitzekonzept, in Berlin eröffnete im vergangenen Jahr Deutschlands erste Hitzenotunterkunft. Auch andere Städte haben ihre Nothilfeangebote angepasst, um den Hitzesommern zu begegnen.
Daneben braucht es aber noch etwas: den radikalen Umbau der (Innen-)Städte. Die hiesigen Shoppingareale und Fußgängerzonen sind für den Konsum optimierte Bereiche, in denen oft alles fehlt, was Sommertemperaturen zu senken vermag: schattenspendendes Grün, Architektur und Städtebau, die Hitze nicht stauen, Abkühlung durch Luftschneisen oder fließendes Wasser.
Auch Ruhrgebietsstädte setzen sich inzwischen damit auseinander, ihre Innenstädte den Folgen der Klimakatastrophe anzupassen, sei es durch die Begrünung von Dächern, die Umgestaltung von Plätzen und Freiflächen, mehr Bäume oder Wasserläufe. Das wird Jahrzehnte dauern und auch auf Widerstände treffen. Es ist aber nicht nur dringend nötig, sondern würde aus fast lebensfeindlichen Betonwüsten auch Orte machen, an denen man sich gerne aufhält und die man gerne nutzt – bestimmt auch wieder zum Einkaufen.