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"Mit einem Kaffee fängt es immer an"

An fünf Tagen in der Woche ist die Anlaufstelle neben dem bodo-Buchladen in der Bochumer Königsallee 12 geöffnet. Viele Gäste kommen zuerst nur auf einen Kaffee. Dass es um viel mehr geht, merkt man schnell, wenn man einen Vormittag in der „Zwölfeinhalb“, wie die meisten Gäste die Anlaufstelle nennen, verbringt.

Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

„An der Tür steht, dass wir um zehn Uhr aufmachen. Ich bin aber meistens schon etwas eher hier“, meint bodo-Mitarbeiter Franz, während er die große Kaffeemaschine in der kleinen Teeküche anstellt. Am PC-Schreibtisch im vorderen Bereich des großen Raums hat sich bereits der erste Gast niedergelassen und klickt sich durch neu erschienene Wohnungsannoncen. „Heute keine Waffeln, ich dachte, du backst jetzt jeden Tag“, scherzt einer der Gäste, als Franz die große Kaffeekanne auf den Tisch stellt. Warme und kalte Getränke sowie Sandwiches gibt es in der „Zwölfeinhalb“ jeden Tag, Waffeln nur gelegentlich.

„Manche Besucher kommen nur für einen Kaffee zum Mitnehmen, viele bodo-Verkäufer holen nur schnell die neue Ausgabe des Straßenmagazins, andere Gäste verbringen fast den ganzen Tag hier“, erläutert Franz, während er einen Zettel mit WLAN-Zugangsdaten an die Wand hängt. „Seit heute gibt es hier auch endlich schnelles Internet für alle mit Handy.“ Auch wenn sich die meisten Gäste kennen, ist es ruhig, und viele sind mit sich selbst beschäftigt. Man liest, sortiert Unterlagen oder löst ein Kreuzworträtsel. Dinge, für die auf der Straße keine Zeit ist.
 
Um elf Uhr kommt Luminita zur Tür herein, in der einen Hand ihren bodo-Rucksack, in der anderen einen großen Stapel teilweise geöffneter Briefe. „Ich bin mit Lutz verabredet“, sagt die 39-jährige bodo-Verkäuferin uns. Seit einem Jahr verkauft sie das Straßenmagazin in Bochum. Fast genau so lange kämpft sie sich zusammen mit bodo-Sozialarbeiter Lutz durch einen großen Berg aus ungeöffneter Post. Viele Fragen können in der „Zwölfeinhalb“ zwischen Tür und Angel bei einem Kaffee geklärt werden. Längere Beratungen finden in einem kleinen Büro im hinteren Bereich des bodo-Buchladens nebenan statt.

Oft wisse sie selbst gar nicht genau, worum es in den Briefen gehe, so kryptisch seien die Formulierungen von Behörden oder Inkassounternehmen, erzählt sie auf dem Weg nach nebenan. Welche Forderungen sind noch offen, welche beglichen. Was kann sofort geklärt, was muss postalisch bearbeitet werden. Stoisch arbeiten sich die beiden durch den Stapel Post. Nach einer Stunde ist eine Ratenzahlung für eine offene GEZ-Nachzahlung und für ein Bußgeld wegen Schwarzfahrens vereinbart und Luminita sichtlich erleichtert. Die Briefe lässt sie hier. Für ein Foto posiert sie noch gerne, bevor sie sich an ihren Verkaufsplatz verabschiedet.

„Wenn das Geld knapp wird, sparen viele Leute zuerst an den Tickets für den ÖPNV. Das ist dann nur eine Frage der Zeit, bis das weitere Bußgelder nach sich zieht. Ein Teufelskreis, der einem schnell über den Kopf wachsen kann“, sagt Lutz auf dem Rückweg in die „Zwöfleinhalb“, wo Franz gerade den nächsten Kaffee aufsetzt und bereits die nächsten Gäste auf Lutz warten. „Wenn man erst mal ins Gespräch kommt, offenbaren sich oft komplexe Problemlagen. Aber mit einem Kaffee fängt es immer an.“