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Kleine Schritte

Seit genau einem Jahr ist Sven bodo-Verkäufer. Beim Spaziergang durchs Bermudadreieck spricht er über Wohnungslosigkeit, psychische Erkrankungen und die vielen damit verbundenen Fort- und Rückschritte.

Von Sebastian Sellhorst

Wir erkennen Sven schon von Weitem an seinen beiden Krücken. Bereits am Telefon hat er uns von seinem gebrochenen Zeh berichtet. „Nachts wollte ich aufs Klo und bin vor meine Couch gelaufen“, erzählt er, als wir uns treffen. „Erst war alles okay, aber nach zwei Tagen war der Fuß so geschwollen, dass ich doch mal zum Arzt gegangen bin.“ Zwei Wochen müsse er sich jetzt noch mit Krücken rumschlagen. Gegen einen Spaziergang hat er trotzdem nichts einzuwenden. Langsam soll er den Fuß wieder belasten.

Während wir langsam die Kortumstraße entlang gehen, erinnert sich Sven, wie er wegen einer psychischen Erkrankung fast wohnungslos geworden wäre. „Vor ungefähr fünf Jahren wurde bei mir eine schwere depressive Episode diagnostiziert, was dazu führte, dass ich meinen Job nicht mehr machen konnte. Von den Schlaftabletten, die mir daraufhin verschrieben wurden, bin ich abhängig geworden. Ab da ging es eigentlich kontinuierlich bergab.“

Kurze Zeit später verliert Sven seine Wohnung. „Ich hatte die Miete nicht bezahlt. Erst hatte ich noch eine Ratenzahlung vereinbart, aber die Rate konnte ich irgendwann auch nicht mehr bezahlen und dann ging alles recht schnell. Zum Glück habe ich in letzter Minute noch was im Haus eines Kumpels gefunden“, erinnert er sich, während wir uns an einen der Tische am Konrad-Adenauer-Platz setzen. „Ich war damals an einem Punkt, an dem gar nichts mehr ging. Ich habe auf einer Matratze auf dem Boden geschlafen und mich mit einer Gardine zugedeckt, die der Vormieter zurückgelassen hatte.“

Nach langer Therapie gehe es ihm mittlerweile wieder bedeutend besser. „Ich komme mittlerweile wieder gut durch den Tag, bin vernünftig eingerichtet und hab wieder einen Tagesablauf. Wenn es so weiterläuft wie im Moment, möchte ich auch meine Substitutionstherapie bald beenden“, schildert er seine Pläne. Er müsse allerdings jeden Tag aufs Neue schauen, was gerade gehe und was nicht. „Psychische Krankheiten sind eben kein gebrochener Zeh, der irgendwann verheilt ist“, erzählt er und klopft lachend auf seine Orthese. Dazu passe bodo für ihn aber gerade ganz gut. „Wenn ich mit jemandem quatschen will, dann ist da jemand, aber es macht auch nichts, wenn ich mal einen Tag nichts von mir hören lasse.“

Wie schnell einen psychische Erkrankung an den Rand der Obdachlosigkeit bringen, hat Sven selbst erlebt. Doch auch den umgekehrten Weg könne er sich sehr gut vorstellen. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich mich abends hier hinlegen müsste, da ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis einem das nicht nur körperlich zusetzt“, erzählt Sven und deutet auf einen Schlafsack und eine Isomatte, die in einer Ecke unter dem großen Sonnensegel liegen.

„Runter geht es ja leider immer sehr schnell, aber wieder nach oben leider nur in kleinen Schritten. Aber die mach ich ja eh gerade“, erzählt er und lacht.