Angst um das Zuhause
Ein „Wohnquartier der Zukunft“ plant Vivawest im Dortmunder Stadtteil Huckarde: „Bergmannsgrün“ soll es heißen und eine Modellsiedlung mit Blick auf klimafreundliches Wohnen werden. Dazu will das Unternehmen Wohnungen modernisieren, Etagen aufstocken, 235 Wohnungen neu bauen – vorher aber 144 zum großen Teil noch bewohnte abreißen. AnwohnerInnen haben Angst um ihr Zuhause.
Von Alexandra Gehrhardt | Fotos: Sebastian Sellhorst

Eigentlich ist die Siedlung zwischen Walkmühlenweg, Pothmorgenweg, Brunshollweg und Thielenstraße in Huckarde eine typische Vorortsiedlung, wie man sie im Ruhrgebiet oft findet: zwei- bis dreigeschossige Mehrfamilienhäuser, viel Grün, Ortskern und U-Bahn in die Innenstadt sind um die Ecke. Die Eigentümerin, das Wohnungsunternehmen Vivawest, will daraus mit 100 Millionen Euro das Modellquartier „Bergmannsgrün“ machen; in fünf Jahren soll hier eine Wohnsiedlung mit Mehrfamilienhäusern und Mikroappartments, Kita, einem Begegnungszentrum, Carsharing, e-Scootern und Co-Working entstehen. Dabei bezieht sich Vivawest auf die Verbindung von Klimaschutz und Wohnen und auch auf die Internationale Gartenbauausstellung IGA, die 2027 ins Ruhrgebiet kommt und in Huckarde einen Schwerpunkt haben soll.
235 neue Wohnungen, zum Teil barrierefrei und seniorInnengerecht, sind geplant, 30 Prozent davon – eine Pflichtquote in Dortmund – Sozialwohnungen. Dafür sollen aber 144 bestehende Wohnungen abgerissen werden – und die sind zu großen Teilen noch bewohnt. Im Januar machte Vivawest das Großprojekt bekannt, im August sollen die Modernisierungen starten, im Dezember die ersten Abrisse. Viele MieterInnen haben Angst, ihr Zuhause zu verlieren, und sind sauer. Am Walkmühlenweg hängen Transparente an Balkonen und Fenstern: „Unsere Häuser bleiben“, „Bezahlbarer Wohnraum bleibt“ oder „Wir ziehen nicht weg“.
Horst Pagel zum Beispiel. Seit seiner Geburt lebt er in der Siedlung, erst mit seinen Eltern, seit 40 Jahren zusammen mit Ehefrau Vera. Im Moment zahlen sie gut 500 Euro für ihre Wohnung. Jetzt soll das Haus, in dem sie wohnen, weg. „Wenn sie aufstocken wollen oder was mit Solarenergie oder Wärmepumpen machen wollen, hab ich ja nichts gegen“, will er klarstellen. „Aber wir sollen hier weg, weil die hier eine schicke Siedlung hinstellen wollen. Das finde ich nicht in Ordnung.“

Eine andere Anwohnerin macht sich ebenfalls Gedanken, auch sie wohnt seit 40 Jahren in Huckarde. Einmal musste sie schon umziehen. „Jetzt hab ich meine Traumwohnung, mit schönem Balkon für die Katzen.“ Sie hat eine Gehbeeinträchtigung, ist auf den Rollator angewiesen. „So nah zur Bahn hab ich es nie wieder“ – für sie keine Frage der Bequemlichkeit, sondern eine der Teilhabe. „Was ist, wenn die Möbel nicht mehr passen oder wenn meine 35 Jahre alte Küche den Umzug nicht überlebt? Ich kann mir keine neue leisten.“ Auf konkrete Nachfrage erzählt sie, sei die Antwort immer gewesen, dass man schaue, wenn es soweit ist. „Damit kann ich aber nichts anfangen. Ich muss planen, meine Kräfte einteilen.“ Auch Horst Pagel ärgert sich. „Immer kommt der Satz: ‚Das wird individuell geregelt.‘“ Aber besonders Ältere wüssten ja oft gar nicht, was auf sie zukommt und was sie verhandeln müssen.
Hoher Schutz
Was dürfen Vermieter eigentlich? Grundsätzlich sind MieterInnen gut geschützt, sagt Mietervereins-Sprecher Markus Roeser. Modernisierungen und zu erwartende Mieterhöhungen müssten konkret angekündigt, finanzielle oder gesundheitliche Härtefälle berücksichtigt werden. Für Abrisskündigungen sind die Hürden hoch. Und: „Letztendlich muss für das Projekt der Bebauungsplan geändert werden, und das muss der Stadtrat beschließen“, so Roeser.
Dazu kommt: Die Siedlung ist eine ehemalige Eisenbahnersiedlung. Als Vivawest einst die Bestände aus der Vestischen Wohnungsgesellschaft übernahm, übernahm sie auch die Zusage, auf Verwertungskündigungen zu verzichten. Wer den entsprechenden Nachtrag im Mietvertrag hat, hat ein lebenslanges Wohnrecht.

Vivawest betont, mit den MieterInnen zusammenarbeiten zu wollen und viele Unterstützungsangebote zu machen. Mit rund 50 BewohnerInnen seien schon Einigungen erzielt, sagte Sprecher Gregor Boldt bei einem Infotag in der Siedlung – das ist knapp ein Drittel der vom Abriss Betroffenen. Tatsächlich sind nicht wenige Wohnungen schon leer. In Bürgerforen will Vivawest Anwohnerideen sammeln, eine Agentur soll die Beteiligung gestalten. Man sei zuversichtlich, dass man am Ende zu passenden Lösungen komme.
Mittlerweile, vier Monate nach der ersten Ankündigung, gibt es einen Sozialplan für die Siedlung. Darin steht, welche Hilfen es bei Wohnungssuche und Umzug gibt und wie die neuen Mieten aussehen sollen. Während der Aufstockungen soll es für die MieterInnen Mietnachlässe geben. Wer im Quartier umziehen will, soll das zum gleichen (Kalt-)Mietpreis tun können, wer einen Wohnberechtigungsschein hat, eine der geplanten Sozialwohnungen bekommen können. Wer später zurück ziehen will, soll erst nur einen Modernisierungsaufschlag und erst nach fünf Jahren den Neubau-Mietpreis zahlen – statt jetzt 5,80 Euro dann 10,76 Euro. „Wir zahlen dann das Doppelte“, sagt Horst Pagel. Auch wenn nur modernisiert wird, steigt die Miete – nach jetziger Kalkulation um 120 Euro für 60 qm.
Abreißen fürs Klima?
Und noch eine Frage stellt sich: Vivawest will 144 Wohnungen abreißen, um 184 neu zu bauen. Wäre es nicht sozial- und umweltverträglicher, die Häuser im Bestand zu sanieren? Nein, sagt Vivawest, weil am Ende die ganze Siedlung klimafreundlicher und moderner werden soll. In Dortmund mangele es an familien- und seniorengerechtem Wohnraum, die Grundrisse der Wohnungen seien nicht mehr zeitgemäß. „Ins Quartier zu gehen und zu sanieren finden wir im Prinzip gut. Man muss aber Alternativen prüfen“, so Markus Roeser. Gleich 144 Wohnungen abzureißen, hält er für unverhältnismäßig – zumal in einer Stadt, in der es an bezahlbarem Wohnraum mangelt.

Er rät aber auch, sich anzuhören, was Vivawest anzubieten hat. „Wenn jemand sowieso umziehen will, spricht ja nichts dagegen, das mit Unterstützung zu machen.“ Klar ist für Mietervereins-Juristin Silke Schwarz aber: „Wenn im Mietvertrag oder einem Nachtrag hierzu ein Kündigungsausschluss geregelt sein sollte, kann sich Vivawest hierüber nicht so einfach hinweg setzen.“
Pagel und andere aus der Siedlung haben eine Mieterinitiative gegründet und auch die Lokalpolitik eingeschaltet. „Wir werden sehen, was die noch einbringen können“, sagt er. Die MieterInnen in der Initiative wollen um ihr Zuhause kämpfen.