Mit Allmacht und Gefühl
Strategische Fahndung heißt das, was der Polizeipräsident vor zwei Monaten für die Dortmunder City anordnete. Ein Sonderrecht „zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung […] von terroristischen Straftaten und […] gewerbs- oder bandenmäßiger grenzüberschreitender Kriminalität“. Heißt: Die Polizei darf kontrollieren, wen sie will, ohne „Anlass“, ohne Grund. Das ist ein Problem.
Ein Kommentar von Alexandra Gehrhardt

Polizeiliche Sonderrechte wie dieses sind nur erlaubt, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass solche Straftaten passieren. In Dortmund findet der Polizeipräsident, Corona ist ein Grund. Man wolle sicherstellen, dass das Ende der Beschränkungen „nicht von Straftätern ausgenutzt wird“. Nun ist es irgendwie logisch, dass, wenn mehr Menschen unterwegs sind, auch die Kriminalität steigt.
Für die Kontrollierten bedeutet das: Sie sind markiert als potenzielle Straftäter – wegen ihres Auftretens, ihres Blicks, ihrer Haarfarbe. Und weil es nach einem Monat „noch keine bemerkenswerten Entwicklungen“, gab, kam kurzerhand ein weiterer dazu. Übersetzt: Weil noch nichts passiert ist, was als Rechtfertigung taugt, machen wir weiter.
Auch in der City liegt der Stadtgarten. Dort sind Skater, Büroangestellte in der Pause, Obdachlose, Drogendealer und -konsumierende. Die Polizei geht Streife, das in der Pandemie aufgeblasene Ordnungsamt auch. Das reicht nicht. Dortmunds Rechtsdezernent, der schon 1.000-Euro-Knöllchen an Obdachlose verteilen ließ und einen Obdachlosen mit Knast zur Zahlung säumiger Bußgelder zwingen wollte, setzt jetzt private Security ein, um für Ordnung zu sorgen. Das gibt es schon im Keuning-Park (gegen Dealer, weil Nordstadt) und im Westpark (gegen alle, weil Lärm).
Hoheitliche Aufgaben, die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung, in der Hand von Privatunternehmen – ernsthaft? Mäßig geschulte Kräfte, knapp am Mindestlohn und in der Regel nicht mit Diplomatie-Zertifikat, die Drogenkonsumierende und Obdachlose verscheuchen? Der Rechtsdezernent argumentiert mit Sicherheitsgefühl, einem Begriff, der zwar inhaltslos ist, aber prima geeignet, Diskurse um Sicherheit und bürgerliche Freiheit geplant entgleisen zu lassen.
Bemerkenswert ist, wie leicht es in der Pandemie war, Kontrollbefugnisse über den öffentlichen Raum auf den letzten Zentimeter auszuweiten. Gemerkt haben das die, die nicht zu Hause bleiben konnten, und bei Schikanen alleine blieben. Besorgniserregend ist, dass es jetzt, wo diese Befugnisse jeder Verhältnismäßigkeit entbehren, einfach weitergehen soll – und darüber kaum gesprochen wird.