Ein paar Euro
Im Park, in der Partymeile oder beim Festival: Gerade in (Groß-)Städten gehören Menschen, die Flaschen sammeln, fest zum Stadtbild. Eine Tätigkeit, die viel Arbeit macht, mit Stigmata verbunden ist und wenig einbringt. Fast eine Million Menschen in Deutschland, so das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung, sammelt aktiv im öffentlichen Raum Pfand. Einer von ihnen hat uns mitgenommen.
Von Sebastian Sellhorst und Alexandra Gehrhardt
Fotos: Sebastian Sellhorst

Tom wartet in der Dortmunder Innenstadt. In einer Richtung geht es in die Fußgängerzone mit den vielen Läden und Cafés, auf der anderen Seite schieben sich Autos, Busse und LKW über den Wallring, der mal die Stadtbegrenzung war. Tom heißt nur in diesem Text Tom. Seit drei Jahren ist er auf der Straße. Das Geld, das er zum Leben braucht, verdient er sich mit dem Sammeln von Flaschen und Dosen. Wann er angefangen hat? Er lacht. „Pfand ist ja nichts, was du zum ersten Mal machst, womit du anfängst wie Betteln. Du bringst halt dein Pfand weg. Und dann halt auch die Flasche, die irgendwo rum steht, wenn du eh gerade Pfand wegbringst. Und irgendwann hältst du ein bisschen die Augen offen und greifst auch die Flasche, die neben einem Mülleimer steht. Aber ich glaube, niemand denkt sich, ab Montag werde ich Pfandsammler.“ Tom erzählt im Gehen. Währenddessen wirft er immer wieder beiläufige Blicke in die an Laternen montierten Papierkörbe. Wer nicht weiß, dass er nach Pfand Ausschau hält, würde es kaum bemerken. Beim ersten Dutzend hat er kein Glück. „Früher hatte ich auch mal eine Taschenlampe und Handschuhe, aber die sind ständig im Arsch. Die meisten Leute stellen ihre Flaschen einfach irgendwo hin, Dosen landen dann schon mal eher im Müll. Aber es wird so viel gesammelt, dass man nicht ewig im Müll wühlen muss. Nur an Ecken, an denen sich Leute ihren Schuss fertig machen, musst du aufpassen, damit du nicht in was reinpackst.“
Bierflaschen 8 Cent, Dosen 25
Den ersten Treffer landet er in der Nähe eines Berufskollegs. Im Laufen schüttelt Tom die letzten Tropfen aus zwei Dosen, zusammen 50 Cent verschwinden in seinem abgenutzten Rucksack. „Dieser hier ist schon wieder hinüber“, erzählt Tom und zeigt mir den Reißverschluss. „Der macht es nicht lange, wenn du den Reißverschluss tausendmal am Tag auf und zu machst. Deshalb nehmen die meisten, die ich kenne, große Einkaufstüten, Tüten von Ikea oder nen Hackenporsche.“ Für ihn sei das nichts. Zu viel zu schleppen, sagt er, während er eine 0,5 Liter-Cola-Flasche einpackt. 15 Cent seien das.

„Richtig gut gehen Schulen oder das Berufskolleg, wenn hier große Pause ist. Die ziehen sich hier alle Energy Drinks rein und lassen die dann stehen. Das sind schon mal 25 Cent pro Dose. Dosen sind eigentlich das Beste. Die nehmen nicht viel Platz weg und wiegen nichts. Große Flaschen geben zwar auch 25 Cent, aber die sind auch wirklich riesig. Und kleinmachen kannst du die nicht, weil der Automat sie dann nicht nimmt. Bierflaschen für 8 Cent hast du meist abends. Aber an Glas schleppt man auch ganz schön, vor allem, wenn man nur einen Rucksack dabei hat. “
„Du brauchst Geduld“
Er sei keiner, der bei Heimspielen mit dem Einkaufswagen vor dem Stadion steht, sagt Tom. Er braucht auch nicht viel. „Bei mir am Zelt kann ich kochen, also reichen mir fürs Essen zwei bis drei Euro am Tag und vier bis fünf Euro für meine Bierchen. Das kannst du schon mit Pfand machen. Aber es ist schwerer geworden. Vor drei Jahren, als ich angefangen hab, war mehr drin. Mittlerweile gibt es viele Leute, die in die Mülltonnen gucken, auch normale Rentner und so. Auf meinen Routen kenn ich alleine zwei, die mit einem Fahrrad unterwegs sind. Bei den Normalos gilt, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, da gibt es eigentlich keinen Stress. Am Stadion oder den Westfalenhallen, als da noch was los war, ist das schon ein bisschen anders. Da haben die Leute ihre festen Ecken, die sie auch verteidigen.“

Als Corona vor zwei Jahren das öffentliche Leben lahmlegte, brach auch die Armutsökonomie zusammen. Geld verdienen im öffentlichen Raum, mit Betteln, Straßenmusik oder eben Pfand sammeln funktioniert nur, wenn draußen auch Menschen unterwegs sind. „Als richtig Lockdown war und in der Stadt wirklich alles geschlossen, war das richtig scheiße“, erinnert sich Tom. „Besonders im Winter. Da haben alle zu Hause gesoffen, Kästen geholt und die auch wieder weggebracht. Auch wenn ich ein, zwei Ecken hatte, wo ich immer was gefunden hab. Im Sommer war es okay. Da gab es ja Ecken, wo immer Leute saßen, am Bahnhof und an der Kirche.“ Trotzdem: „Um Pfand zu machen, brauchst du Geduld. Für den Junkie, der am besten vor einer Stunde 20 Euro brauchte, ist das nix. Der kann nicht anfangen, acht Cent aufzuheben.“
Tom läuft Richtung Nordstadt. Dort hat er auch seinen Schlafplatz. Ob er feste Zeiten hat und Feierabend? „Ich laufe ja eh den ganzen Tag rum wie die meisten Jungs, die auf der Straße sind. Morgens in die Stadt, zum Gast-Haus frühstücken, Mittagessen bei Kana, zu den Franziskanern. Ich muss mich bewegen, zu lange an einer Stelle kann ich nicht. Was weiß ich, wie viele tausend Kilometer ich am Tag mache“, sagt er und deutet auf seine Schuhe. Sie wirken noch recht neu, aber die Sohle löst sich. „Die sind erst einen Monat alt. Ich hab mir extra Arbeitsschuhe besorgt, damit die möglichst lange halten. Das war wohl nix. Mindestens genauso wichtig wie gute Ecken und gute Schuhe sind aber Leute, die dir den Kram abnehmen. Bei zwei Kiosken hab ich Hausverbot. Die haben sofort gecheckt, dass ich draußen bin und Pfand sammele. Und da haben sie gesagt, dass sie darauf keinen Bock haben. Die Automaten in den Supermärkten sind okay. Aber die nehmen nicht alles und du musst dich an der Kasse anstellen. Der Kioskbesitzer in der Nähe meines Schlafplatzes ist aber super. Der nimmt mir alles ab und verkauft Hansa für 41 Cent. Plus Pfand.“
Fast eine Million
Deutschlandweit sammeln rund 980.000 Menschen aktiv im öffentlichen Raum Pfandflaschen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung im Auftrag der Hamburger Initiative „Pfand gehört daneben“. 400 Pfandsammler:innen in Deutschland hat das Marktforschungsinstitut Appinio im vergangenen November befragt. Was die Hochrechnung zeigt: Pfandsammler:innen sind jung – mehr als die Hälfte von ihnen ist jünger als 25 – und zwar mehrheitlich männlich, mit 42 Prozent ist der Frauenanteil aber hoch. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Pfandsammler:innen verdienen zwischen null und vier Euro an jedem Tag, an dem sie sammeln gehen. Nicht viel, wenn man sich weitere Ergebnisse der Umfrage anschaut: Denn für fast ein Drittel (28 Prozent) ist das Sammeln von Flaschen und Dosen das einzige Einkommen statt oder neben staatlichen Leistungen. Ein weiteres Viertel sammelt Pfand, um trotz eines Jobs über die Runden zu kommen. Viel ist das bei den meisten trotzdem nicht: Bei der Mehrheit (63 Prozent) liegt der monatliche Verdienst bei unter 50 Euro, bei knapp einem Viertel bei 50 bis 99 Euro.
Mit „Pfand gehört daneben“ will der Hamburger Getränkekonzern fritz-kola Stigmata gegenüber Pfandsammelnden abbauen und erreichen, dass Pfand nicht im Müll landet. „Wer Pfandflaschen nicht in den Müll wirft, sondern danebenstellt, zeigt eine kleine Geste der Solidarität den Menschen gegenüber, die mit Hilfe von Pfandgut ihr tägliches Leben meistern“, heißt es von der Initiative. Denn das Durchsuchen von Mülleimern ist nicht nur entwürdigend, sondern birgt auch Verletzungsgefahr: Fast die Hälfte der PfandsammlerInnen empfindet es „eklig“ oder „sehr eklig“, bei ihrer Tätigkeit im Müll nach Pfand zu suchen, ein Drittel hat sich dabei auch schon einmal verletzt.
Als „Gegenperspektive“ wurden auch 1.000 Einwohner:innen repräsentativ zu ihrem Bild von Pfandsammler:innen befragt. Die Umfrage zeigt: Empathie gegenüber Betroffenen ist durchaus hoch (55 Prozent), fast die Hälfte der Befragten sieht den Staat in der Pflicht, „mehr für diese Menschen zu tun“ (46 Prozent). 43 Prozent stellen darum ihre Pfandflaschen auch neben statt in den Müll. Interessant ist die Lücke zwischen dem tatsächlichen und dem von anderen wahrgenommenen Verdienst von Pfandsammle:innen: Fast 80 Prozent glauben, dass diese pro Tag mindestens fünf Euro verdienen – tatsächlich sind es bei der Mehrheit der Befragten deutlich weniger.