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Kein Knast für Knöllchen

Mehr als 7.300 Euro Bußgeld sollte ein Obdachloser in Dortmund wegen Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung und wegen Bettelns zahlen. Weil er nicht zahlte, wollte die Stadt sogenannte Erzwingungshaft anordnen. Das hat das Dortmunder Amtsgericht im Dezember in bemerkenswerter Klarheit abgelehnt ‑ und das Ordnungsamt abgewatscht. 

Von Alexandra Gehrhardt

Bettelnde in der Dortmunder Innenstadt. Während Corona bekamen Obdachlose mehrfach Bußgelder wegen Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung(en). Foto: Sebastian Sellhorst (A).

Der Mann, obdachlos, drogenabhängig und im Rollstuhl, hatte im vergangenen Jahr vom Dortmunder Ordnungsamt mehrere Ordnungsgelder wegen Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung und wegen Bettelns erhalten. Vor Gericht ging es um insgesamt 17 Delikte, mal mit 25 Euro, mal mit 2.200 Euro Bußgeld belegt ‑ insgesamt 7.325 Euro plus Verfahrenskosten. Als der Mann nicht zahlte, wollte die Stadt Dortmund sogenannte Erzwingungshaft anordnen, ihn also ins Gefängnis schicken, um ihn so zur Zahlung zu zwingen.

Diese Anträge hat das Amtsgericht Dortmund im Dezember abgelehnt, und war in seiner Begründung bemerkenswert eindeutig: „Sinn und Zweck der Erzwingungshaft ist es, einen Zahlungsunwilligen – nicht Unfähigen – zur Zahlung einer Geldbuße zu zwingen.“ Der Betroffene verfüge „über keinerlei Einkommen“ und „lebt ‚von der Hand in den Mund‘“. Es sei „nicht ersichtlich, inwieweit der Betroffenen denn seine Lebensführung bei derart hohen Geldbußen und derart bescheidenen Lebensverhältnissen noch einschränken können soll.“

Das Gericht kritisierte auch das Vorgehen der Ordnungsbehörde. Bei der Ahndung der Verstöße „ist das Bußgeld in schematischer Anwendung teilweise enorm erhöht worden, was sogar zur Festsetzung eines einzelnen Bußgeldes on Höhe von 2.200,00 € geführt hat. Die offensichtlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind dabei nicht berücksichtigt worden.“ Es wäre darum „Sache der Bußgeldbehörde schon bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit nur solche Geldbußen festzusetzen, die unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch einen angemessenen Sanktionscharakter haben.“ Die Erzwingungshaft soll „ausdrücklich gerade nicht den Zahlungsunfähigen treffen“, so das Gericht in seinem Urteil.

Harald Thomé von der Sozialinitiative „Tacheles“ in Wuppertal, der das Urteil am 6. Januar öffentlich gemacht hat, wertet es als Erfolg: „Die Summen sind übermäßig, und für Menschen, die mittellos, obdachlos und schwerbehindert sind, ein absoluter Witz. Es ist ein Skandal und das hat das Amtsgericht hervorragend herausgearbeitet.“ Für ihn muss das Urteil auch Konsequenzen für die Stadtverwaltung haben: „Es muss zum Anlass genommen werden, dass es im Wohnungs- und Obdachlosenbereich eine Amnestie für alle Altfälle gibt.“

Schon 2020, im und nach dem ersten Corona-Lockdown, hatten Wohnungslose in Dortmund berichtet, für Verstöße gegen das damals geltende Ansammlungsverbot für mehr als zwei Personen Ordnungsstrafen in zum Teil vierstelliger Höhe erhalten zu haben. Damals hatte die Stadt die Option eingeräumt, dass Betroffene auf Antrag die Geldbußen auf 20 Euro reduzieren könnten. An der grundsätzlichen Sanktionspraxis hatte die Ordnungsbehörde aber festgehalten.

Mittellose treffen solche Bußgelder ungleich härter. Zahlt man nicht, erhöht sich die Strafe, wird ein Einspruch abgelehnt, wird aus der Ordnungswidrigkeit eine Strafsache. Am Ende droht eine Ersatzfreiheitsstrafe, also Gefängnis. Auch darum ist für Harald Thomé das Urteil entscheidend: „Es wirft auch nochmal die Diskussion auf, wie man mit ‚Schwarzfahren‘ umgeht.“ Bisher ist das Erschleichen von Leistungen in den meisten Bundesländern eine Straftat, am Ende steht im schlimmsten Fall Gefängnis. In NRW sitzen im Schnitt 1200 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil sie Geldstrafen nicht zahlen können. Die Hälfte von ihnen sind Menschen, die in Bus und Bahn ohne Ticket erwischt wurden.