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Auf der Straße gestorben

In Dortmund und Bochum sind in den vergangenen Wochen obdachlose Menschen gestorben. In Dortmund hat die Polizei am vergangenen Samstag einen obdachlosen Mann gefunden, der, so die Vermutung der Polizei, schon einige Zeit vorher dort verstorben war. Woran der 40-Jährige gestorben ist, ist noch nicht bekannt, Fremdverschulden schließt die Polizei bisher jedoch aus.

Von Alexandra Gehrhardt

Kennen Sie das, wenn großer Ärger und große Freude zusammenfallen? Wir nehmen unseren Job als JournalistInnen sehr ernst. Nicht erst seit den auseinanderbrechenden Öffentlichkeiten der „sozialen“ Medien, seit „alternativen Fakten“ und dem wachsenden Misstrauen gegen unseren Berufsstand. Besonders wichtig für uns ist, das zu erzählen, was anderswo unter den Tisch fällt, weil die Menschen, um die es geht, nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, weil Zugänge schwierig sind, das allgemeine Interesse nicht besonders groß.

So berichteten wir hier vor einigen Tagen über drei Todesfälle unter Obdachlosen: Ein Mann war an seinem Schlafplatz in Bochum verstorben, ein weiterer in einem leerstehenden Haus in Dortmund und ein dritter offenbar längere Zeit nach einem Zusammenbruch an seinem Bettelplatz in einem Dortmunder Krankenhaus. Die ersten beiden Fälle konnte uns die Polizei bestätigen, über den Leichenfund in Dortmund hatten die Ruhr Nachrichten zuerst berichtet. Für den Todesfall im Krankenhaus bekamen wir keine offizielle Bestätigung. Das ist nicht ungewöhnlich. Es gab keinen Kontakt zu Angehörigen, der vermeintliche Tod war nicht direkt mit dem Rettungseinsatz auf der Straße verbunden. Wir recherchierten und hatten irgendwann so viele voneinander unabhängige, bestätigende Aussagen, dass wir uns entschlossen, den Fall in die Meldung aufzunehmen.
Der berufliche Ärger und die große Freude: Helmut lebt. Vier Wochen lag er im Krankenhaus, es war ernst, aber es geht ihm gut.

Auch in Bochum wird über einen Todesfall berichtet. Wie die Gruppe „Unsichtbar e.V.“ auf ihrer Facebook-Seite berichtete, starb in der vergangenen Woche ein obdachloser Mann im Schlaf. Rettungskräfte hätten noch versucht, ihn wiederzubeleben, jedoch erfolglos. Die Polizei bestätigt den Vorfall vom 9. November.

Gute Nachrichten hingegen gibt es von Helmut. Er war vor vier Wochen an seinem Platz vor einer Drogerie in Dortmund zusammengebrochen. Für den Todesfall im Krankenhaus bekamen wir keine offizielle Bestätigung. Das ist nicht ungewöhnlich. Es gab keinen Kontakt zu Angehörigen, der vermeintliche Tod war nicht direkt mit dem Rettungseinsatz auf der Straße verbunden. Jetzt ist Helmut wieder da – und wieder an seinem Platz. 

Obdachlose sterben früher

Oft ist vor dem Winter die Sorge um Obdachlose besonders groß. Die Kälte ist lebensgefährlich und trifft Menschen, die Tage und Nächte auf der Straße verbringen, unmittelbar – gerade in der Pandemie, als viele Aufwärmorte nur eingeschränkt oder gar nicht genutzt werden konnten. Die Pandemie, das beobachten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe bundesweit, hat vielerorts zu Verelendung geführt, und dazu, dass sich die prekäre Lage Obdachloser weiter verschlechterte.

Auch Untersuchungen zeigen: Der Gesundheitszustand von Obdachlosen ist häufig schlecht, und zwar das ganze Jahr über.

Ein Leerstand in der Dortmunder Nordstadt. Hier wurde am Wochenende ein verstorbener Obdachloser gefunden. Foto: Sebastian Sellhorst

Eine Untersuchung in Hamburg kam im Jahr 2018 zum Schluss, dass obdachlose Menschen in der Hansestadt im Schnitt 49 Jahre alt werden – und damit 30 Jahre früher sterben als die Normalbevölkerung. Sie haben ein drei- bis viermal so hohes Risiko, vorzeitig zu versterben wie die Allgemeinbevölkerung. Obdachlose Menschen sind oft von Mehrfacherkrankungen betroffen, haben schlechtere Abwehrkräfte, schon Infektionen können dann lebensgefährlich werden. Hinzu kommen oft psychische Erkrankungen und Stress, dem Obdachlose permanent ausgesetzt sind.

Jedoch sind viele von ihnen nicht krankenversichert oder trauen sich aus Angst vor Diskriminierung nicht zum Arzt. Darum ist die medizinische Versorgung, trotz wichtiger niedrigschwelliger und oft ehrenamtlicher Angebote, prekär. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert seit Langem mehr niedrigschwellige Angebote zur medizinischen Versorgung und die sichere Finanzierung solcher Angebote. Im vergangenen Winter hatten die Straßenmagazine in Deutschland in einer Petition gefordert, die Hotels für Obdachlose zu öffnen. Mehr als 120.000 Menschen hatten unterschrieben.