Menü Schließen

Die andere Seite

Die Krise hat Straßenobdachlosigkeit in Dortmund sichtbarer gemacht und die Lebenslagen der Betroffenen drastisch verschärft. In der Berichterstattung kommen AnwohnerInnen und Gewerbetreibende zu Wort, die sich gestört fühlen, und Hilfsorganisationen, die einordnen und Defizite in der Versorgung benennen. Meist fehlt die Perspektive derer, um die es geht. Was bedeutet es, draußen zu sein? Wie beschreiben Wohnungslose in Dortmund ihren Alltag?

Von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst | Fotos: Sebastian Sellhorst

Bernd *

Ich bin auf der Straße, seit ich 14 oder 15 bin. Als Kind war ich im Heim. Seitdem bin ich unterwegs. Natürlich hatte ich zwischendurch auch immer mal wieder eine Wohnung. Aber mittlerweile findest du einfach überhaupt nichts mehr.

Mein Kumpel Achim und ich haben uns ein Zelt hier vom Hygienezentrum besorgt und uns was ein bisschen außerhalb gesucht. Nicht zu weit weg, damit du zu Fuß noch überall hinkommst. Wir gehen jeden Tag in die Stadt, um uns was zu essen zu besorgen und drei Mal die Woche hier duschen.

Du musst schon viel beachten, wenn du draußen bist. Wir haben uns jetzt Styroporplatten aus dem Baumarkt besorgt und die unter unser Zelt gelegt. Das isoliert zusätzlich zu den Isomatten. Dazu zwei Schlafsäcke und es geht, wenn es nicht zu kalt ist. Und du musst dein Essen immer luftdicht verschließen! Wenn man sich kümmert und das alles organisiert, kommt man irgendwie klar. Ich hab aber auch schon in Aufzügen von U-Bahn-Stationen geschlafen. Aber wenn du dich einfach irgendwo hinlegst, wird’s spätestens im Winter lebensgefährlich.

Wir sind immer zu zweit unterwegs, weil im Moment so viel auf der Straße passiert. Neulich haben sie jemanden, der hinten am Hornbach geschlafen hat, mit weißer Farbe übergossen. Da hat man noch tagelang weiße Fußspuren gesehen. Ich frage ich mich immer, warum Leute so was machen. Am besten bist du immer mit Leuten unterwegs, denen du vertrauen kannst, damit immer einer aufpasst.

Ob das wegen Corona gerade so schwierig ist auf der Straße? Vielleicht. Die Einrichtungen tun ja was sie können, aber es läuft halt alles auf Sparflamme.

Marc *

Jetzt schlaf ich hier vorne auf dem Treppenabsatz. Da bin ich auch überfallen und ausgeraubt worden. Es ist unglaublich viel Gewalt auf der Straße. Angst hilft Dir nicht. Ich hab keine Angst vor Schmerzen mehr, ich hab zu viel erlebt. Aber ich nehm‘ auch viel. Benzodiazepin, Oxazepam, Alkohol, das geht nicht anders. Wegen der Kälte, um lächeln zu können beim Schnorren. Die Straße schaffst du nicht nüchtern.

Ich warte auf einen Therapieplatz. Das ist eigentlich schon alles in die Wege geleitet. Vielleicht geht es Anfang Dezember los, vielleicht im Januar. Vor meinem Rückfall hatte ich fast meine Ausbildung zum Fitnesstrainer fertig. Hier, ich zeig Dir mal die Fotos: Ich war richtig fit, top Körperfettwert, sehr definiert. Ich wollte als Personal Trainer arbeiten, hatte schon Kunden.

Die Trinkbrunnen sind abgestellt, alle Toiletten in den Ämtern und so sind zu. Die Citytoiletten, die für 50 Cent, sind abgerissen. Letzte Woche hab ich heimlich in eine Flasche gepinkelt. Das kostete dann 50 Euro, sagt das Ordnungsamt.

Meinen Rucksack kann ich kaum tragen, ist ja mein Leben drin. Ich beweg mich nicht weit weg. Ein heißer Kakao kostet da vorne zwei Euro, den gibt’s bis 18.30 Uhr, danach musst du gucken, wie du warm bleibst. Dein Kollege kommt ja hier immer vorbei mit Kaffee und so. Der bringt mir morgen so eine Cargohose mit, die groß genug ist, dass ich sie über die Trainingshose ziehen kann.

Ich hab zwei Schlafsäcke, einer muss trocken bleiben, Pappe zum drauflegen und das war’s.

Katrin *

Es ist rau auf der Straße. Ich rede nicht schlecht über andere, ich mische mich nicht ein, ich versuche mich aus allem rauszuhalten. Auch von den Einrichtungen bleib ich meist weg. Die machen da, was sie können, das ist nicht deren Schuld, aber es gibt viel Stress und Konkurrenz. Man wartet lange für ein Butterbrot, manche wollen nicht warten – und dann wird man schnell in was hineingezogen. Ich bettle deshalb. Dann kann ich mir meist einen Kaffee selbst kaufen. Viele Kalorien bekommt man nicht auf der Straße. Klar ist es mehr geworden hier. Viele Süchtige betteln inzwischen aggressiv, stellen sich in den Weg. Das ist nicht gut.

Ich schlafe in der Innenstadt, ein bisschen abseits. Ich hab alles, was ich brauche. Letztens kam nachts ein Opa – ich sag das so: ein Opa – vorbei und hat mich angeschnauzt: Ich soll verschwinden oder er ruft die Polizei. Ich bin geblieben und er hat die Polizei angerufen. Die haben gefragt, ob Platz genug ist, an mir vorbeizugehen. Da war ja riesig breiter Bürgersteig, also ja. Darauf haben sie gesagt, dass sie nicht kommen.

Es sind viele in der Stadt, die sind so elend, für die ist es schon zu viel, sich zu merken, wann die Obdachlosenärzte wo Sprechstunde haben. Ich hab jetzt so eine kleine Verbandstasche dabei. Es kommen oft Leute zu mir, die eigentlich einen Arzt brauchen.

Seit Monaten sag ich: Die sollen endlich Toilettenwagen aufstellen. Ganz lange war alles zu. Ich habe weniger Probleme, aber wenn man elend aussieht, kommt man in keinen Laden, und sonst gibt es fast nichts. Dafür gibt’s dann die „nette Toilette“. Keine öffentlichen Klos, aber man darf ins Restaurant wo so ein Schild dran ist. Die würden sich bedanken, wenn die Obdachlosen kämen, aber die trauen sich nicht. Dafür verdreckt die Stadt.

Man könnte da schon was machen. Flugzettel mit Cartoons, mit einem Augenzwinkern zum Beispiel. Was stört und was nicht. Oder kleine Zelte für die Habseligkeiten, dass nicht alles rumfliegt. Wenn jetzt ein Zelt kommt, wenn es warmes Essen gibt, ohne dass man dabei im Regen steht, mit Toiletten, ist das sehr gut.

Andrej *

Wir schlafen in der Notübernachtungsstelle. Seit drei Monaten ungefähr, einige auch schon länger. Es soll Notwohnungen geben, in die man ziehen kann, wenn man hier zwei Wochen aushält. Aber, naja. Wegen Corona haben sie das eine Bett in der Mitte rausgenommen, jetzt ist es ein Vierbettzimmer.

Um sieben Uhr ist Wecken, um acht musst du draußen sein. Wenn du zu langsam bist oder verschläfst, gibt es Strafen. Dann darfst du erst um 22 Uhr wieder rein. Am Eingang wirst du kontrolliert wie im Knast, wenn du dich beschwerst, fliegst du raus. Mein Kollege hat mal auf Russisch geschimpft, einer der Security-Leute hat das falsch übersetzt, sagt er, wie eine Drohung, dabei war das nur Fluchen. Dann musste er eine Woche draußen schlafen. Das war die Hölle, sagt er. Das geht nicht. Man ist doch sowieso schon den ganzen Tag draußen. Wir sind tagsüber hier am Supermarkt, aber das nervt die Leute auch, oder wir stellen uns in die Essenschlangen. Man läuft viel. Wichtig ist, dass du Leute hast. Allein macht dich das fertig.

Ich glaub schon, dass es weitergeht. Ich bin ja noch jung. Im Moment kümmern sich die Sozialarbeiter um meine Papiere, ich hab nur Taschengeld gerade. Das mit dem neuen Leben, das scheint noch was zu dauern.

Christian *

Ich hab mit Olli Platte gemacht, mit anderen zusammen. Eigentlich hab ihn in der Adlerstraße kennengelernt. Da war mal die Notschlafstelle, damals war es ok. Zwischenzeitlich hat er mal nen Job gehabt, nach drei Monaten war das wieder vorbei. Zuletzt hat er in der Nähe vom Hauptbahnhof geschlafen.

Sein Platz war am Ende der Fußgängerzone. Da hat er geschnorrt. Irgendwann kannte ihn da jeder. Die Leute haben ihm auch mal eine Pizza vorbeigebracht oder einen selbstgemachten Eintopf.

Es ging ihm schon schlecht. Ich habe ihn am Tag vorher noch gesehen. Er hat gesagt: Ich glaub, ich schaff’s nicht. Ich wusste gar nicht, was er meint. Abends hatten wir dann Bekannte getroffen, die haben eine Wohnung. Die haben gesagt, es ist in Ordnung, wenn er sich da eine Woche ausruht. Als er ins Auto gestiegen ist, war er wie verwandelt, als wär alles abgefallen von dem. nachts um 2 Uhr hat er aufgehört zu atmen. Entkräftung oder so etwas haben die Ärzte gesagt.

Wir haben dann eine kleine Trauerfeier gemacht, an seinem Schnorrplatz. Mit Kerzen, und wir haben mit Kreide auf den Boden geschrieben, über ihn gesprochen, ein Bier auf ihn getrunken, sowas. Wir waren ein Dutzend Leute oder so, viele hatten es aber nicht mitbekommen. Es wären mehr gekommen. Die Stadtreinigung hat das dann ein paar Tage stehenlassen. Hätte ich gar nicht gedacht. Jetzt ist alles weg. Nein, ein bisschen Schrift sieht man noch.

Wir haben mit der Polizei gesprochen. Aber die dürfen die Adresse der Familie nicht herausgeben. Wir hätten denen gern was erzählt über ihn.

An seinem Platz schlafen jetzt zwei Rumänen. Die sind wohl aus England gekommen, die schmeißen da alle Ausländer raus. Wir haben mit denen nichts zu tun, aber bei unserer Gedenkfeier kam einer und stellte sich dazu.