Utopie auf den Ohren
Die „Markthalle“ ist ein kleiner Traum. Mitten in der Stadt, gegenüber dem Bochumer Rathaus, soll sie in ein paar Jahren jährlich 1,5 Millionen KundInnen anlocken. Ein paar hundert Meter weiter wird am alten Landgericht Platz für Läden, Büros und ein Hotel gemacht. Doch muss es eigentlich immer Konsum sein? Mit einer Art akustischem Stadtplan wollen das Netzwerk Stadt für alle Bochum und das atelier automatique hörbar machen, dass man „Stadt“ auch anders denken kann.
Von Alexandra Gehrhardt

Seit gut vier Jahren schaltet sich Stadt für alle immer dann ein, wenn es darum geht, wer und was eigentlich Platz haben darf in einer Stadt. Sie muss für alle da sein, findet das Netzwerk, Alte und Junge, Familien und Nicht-Familien, Arme, Reiche, für die, die schon lange hier sind, und die Neuen. Die Realität ist eine andere. Das alte BVZ und ein Park sollen hochpreisigen Wohnungen weichen, die Markthalle Kunden für „Premium-Produkte“ anlocken. „Gerade Corona hat gezeigt, dass die Stadt als Konsumort nicht mehr funktioniert“, sagt Rebecca Sirsch von Stadt für alle. „Wir wollen Ideen entwickeln, was hier noch stattfinden kann.“ Die Gruppe macht Kampagnen zu Bauprojekten und Leerstand, und hat sich auch bei der Erarbeitung eines Wohnkonzeptes mit an den Verhandlungstisch gesetzt. Mal geht es um bezahlbaren Wohnraum, mal, abstrakter, um eine offene, solidarische Stadt.
„Und darum, diese Begriffe mit Leben zu füllen“, sagt Sirsch. Im Oktober startet darum das „Utopische Flanieren“: Gemeinsam haben Stadt für alle und das KünstlerInnenkollektiv atelier automatique einen Audiowalk, eine Art akustischen Stadtrundgang entwickelt, der zu Orten führt, die für eine solche Stadt stehen (könnten). Mit einer virtuellen Stadtkarte im Smartphone und Kopfhörern auf den Ohren geht es zum Beispiel in die Brückstraße, wo die Foodsharing-Initiative in einem Hörstück erklärt, wie ihre Tauschbörse für nicht mehr benötigte Lebensmittel funktioniert. Oder zum „botopia“ an den Westpark, ein altes Ladenlokal, das jetzt Bibliothek, Repair- und Nähcafé, Coworking Space und vieles mehr ist.
Jede der zehn Stationen des Audiowalks ist einzeln anwählbar, an jeder ist eine andere Geschichte, Idee, Utopie anzuhören, die mal ganz anfassbar und realitätsnah ist, mal auch ein bisschen träumerisch. Bezahlbarer Wohnraum oder eine funktionierende Fahrrad-Infrastruktur. „Die Rottstraße als Fahrradstraße!“, schwebt Josefine Habermehl vom atelier automatique vor, „mit einer Wiese, Bäumen – und einem Pool.“ In Wien wurde etwas ähnliches im Sommer zumindest temporär Wirklichkeit: Auf einer gesperrten Kreuzung wurde am Gürtel, einer der Hauptverkehrsstraßen in der City eine Grünoase als Naherholungsort und Treffpunkt mit öffentlichem Freibad errichtet. Visionen und Perspektiven gibt es viele. Auch die Seebrücke, der Treffpunkt für Prostituierte Madonna e.V. und bodo machen mit.
Eine „Anleitung“ und alle Hörstücke sind auf www.utopisches-flanieren.de zu finden. Für den 8. Oktober ist außerdem eine geführte Tour geplant.