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Alles im Blick

Die Münsterstraße in der Dortmunder Nordstadt wird in Zukunft in Teilen mit Videokameras überwacht. Damit will der Polizeipräsident Drogenhandel und Straftaten in dem Straßenzug bekämpfen. Doch ob es wirklich mehr Sicherheit bringt und die Zahl von Straftaten senkt, wenn eine Kamera alles im Blick hat, ist umstritten.

von Alexandra Gehrhardt

Seit Anfang 2017 beobachtet die Dortmunder Polizei die Brückstraße mit Videokameras. Foto: Sebastian Sellhorst

Seit drei Jahren laufen freitags und samstags nachts Kameras in der Brückstraße in der Dortmunder Innenstadt. Die Ausgehstraße, in der neben dem Konzerthaus auch Clubs, Bars und Imbisse angesiedelt sind, galt als „Kriminalitätsschwerpunkt“, nachdem es dort zu überdurchschnittlich vielen Straftaten gekommen war.

In der Nordstadt bemüht sich Polizeipräsident Gregor Lange seit Langem um wirksame Polizeiarbeit, aber auch darum, zu demonstrieren, dass seine Behörde sich um die Probleme im Stadtteil kümmert; mit eigenen Staatsanwälten und einer eigenen Ermittlungskommission. Nach einer Schlägerei zwischen 80 Personen kontrollierte die Polizei im Sommer wochenlang ohne Anlass Menschen, die verdächtig schienen. Die „strategische Fahndung“ ist eins der neuen Instrumente im Polizeigesetz, mit denen Straftaten im Vorfeld verhindert werden sollen.

Dazu gehört auch Videobeobachtung. Die Gesetzesnovelle ermöglicht den Einsatz von Kameras nicht mehr nur an Orten, an denen vermehrt Straftaten stattfinden, sondern auch dort, wo „die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten begünstigt, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden oder […] verabredet, vorbereitet oder begangen“ werden“.

Das attestiert der Polizeipräsident der Münsterstraße und hat den Einsatz von Kameras ab Frühsommer angeordnet. Wo genau, wann und wie die Geräte laufen sollen, ist noch nicht bekannt, im Moment verhandelt die Polizei mit HausbesitzerInnen über einzelne Standorte.

Dabei ist, teilt die Behörde mit, die Kriminalitätsrate in der Nordstadt seit Jahren rückläufig – ohne Kameras. Seit 2013 gab es weniger „Gewaltkriminalität“ (minus 29 Prozent bis Oktober 2019), weniger Raubüberfälle (59 Prozent) und nur noch fast halb so viele Taschendiebstähle wie 2015, dafür wurden 62 Prozent mehr Taten aufgeklärt.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist darum eine zentrale: Kameras, die Teile des öffentlichen Raums erfassen, greifen tief in individuelle Freiheitsrechte ein. Sie filmen nicht nur den Diebstahl an der Ecke, sondern auch die Gäste vor dem Café daneben, die Patientin auf dem Weg zum Arzt, das Pärchen vor dem Kino – und machen damit potenziell alle verdächtig. Nicht umsonst setzt das Gesetz enge Grenzen: Der überwachte Ort muss „günstige Tatgelegenheiten bieten“, darf „nicht ohne weiteres austauschbar sein“. Und: Videoüberwachung soll „an Orten verhindert werden, an denen ausschließlich mit Verdrängung zu rechnen ist“, sagt die zum Artikel 15a gehörende Verwaltungsvorschrift. Doch die Münsterstraße hat eine Menge Seitenstraßen, die genau das ermöglichen.

Bei der Frage nach der Wirksamkeit sind die Befunde uneinheitlich: Das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat 2018 die polizeiliche Videoüberwachung in Düsseldorf, Mönchengladbach, Aachen, Dortmund, Essen, Duisburg und Köln ausgewertet und kam zum Schluss, dass sinkende Deliktzahlen nicht unmittelbar auf den Einsatz von Kameras zurückzuführen sind, diese also nicht der Grund sind, warum ein Delikt nicht begangen wird. Einzig bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei der Aufklärung bereits begangener Taten half die Videoüberwachung in den untersuchten Städten.