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"Wir brauchen Ergebnisse"

Die Reportage erschien in der September-Ausgabe des Straßenmagazins.

Anfang August trafen sich 1.500 Jugendliche in Dortmund zum Sommerkongress der „Fridays for Future“ (FFF). Sie zelteten in Wischlingen, demonstrierten in der Innenstadt, diskutierten mit Ökonomen und Gewerkschaftern, Sozial- und UmweltwissenschaftlerInnen und arbeiteten in Workshops drei Tage lang in zwei Schulen an der Zukunft der Klimaschutzbewegung.

Von Bastian Pütter

Nach einer lauten Großdemonstration am Freitagvormittag schwärmen Gruppen von DemonstrantInnen zu einer Vielzahl – vorbildlich angemeldeter – Einzelaktionen. Vom „Die-In“ in der Fußgängerzone über Tanz- und Gesangsdarbietungen bis zum Pflanzen eines Wäldchens vor dem RWE-Tower nutzen die Jugendlichen das ganze Repertoire an Aktionsformen, um auf ihr Anliegen hinzuweisen. Ein paar S-Bahn-Minuten weiter, im Revierpark Wischlingen, ist ein Zeltlager aufgebaut, eine Bühne, Essenzelte und Sitzbänke unter Pavillons. Die fröhliche Geschäftigkeit, das gemeinsame Kartoffelschälen, Begrüßungs- und Zustimmungsrituale („Wie war das?“ – „Spitze!“) erinnern eher an eine Kirchenfreizeit als an ein politisches Sommercamp: Geraucht wird nicht, alle wirken erstaunlich ausgeschlafen. Doch das sind nur Äußerlichkeiten.

Die offene Bewegung

„Wir sind die mit den blauen Bändchen“, sagt Christian, der umschwirrt von Wespen Wassermelonen schneidet. Er kommt aus Falkensee in Brandenburg, hat sich allein auf den Weg gemacht, aber bereits in Berlin im Zug die ersten MitstreiterInnen kennengelernt. „Wir gehören zum Helferteam und können bestimmt einige Fragen beantworten. Die mit den schwarzen Bändchen gehören zum Orga-Team. Wenn wir nicht helfen können – die wissen alles.“ Er grinst. „Glaub ich.“

Diese zugewandte Freundlichkeit dominiert die Demonstrationen und auch den Sommerkongress. Schaut man sich an, wie etwa seit Monaten Ulf Poschardts „Welt“ und Julian Reichelts „Bild“ mit Spott, Unterstellungen und Verunglimpfungen einen Online-Mob dirigieren, der jede Äußerung einer FFF-Aktivistin mit einem Social-Media-Shitstorm orchestriert, irritiert fast, wie resistent sich die Bewegung zeigt.

Der Versuch zu finden, was oft der Kitt und manchmal der Motor sozialer und politischer Bewegungen ist, läuft bei den „Fridays of Future“ ins Leere: Aufladung über Dress- und Sprachcodes, Avantgarde-Stolz, Identitätspolitik? Eher Fehlanzeige. Spricht man mit Teilnehmenden über ihre Erfahrungen zu Hause, ist es das Erleben von Anschlussfähigkeit, über das positiv, ja, stolz berichtet wird: Zuerst wenig interessierte MitschülerInnen, die unvermittelt bei den Freitagsdemos auftauchen, heimlich unterstützende LehrerInnen und sympathisierende Eltern, Nachbarn, Verwandte. Fragt man nach dem Wert des Gemeinschaftserlebnisses bei der Konferenz, wird fast durchgehend die Vielfalt der Erfahrungen betont, das Nicht-Identische – und die Anwesenheit der teilnehmenden WissenschaftlerInnen. Kein Generationenkonflikt, keine uncoolen Alten.

Die Durchsetzung des Vernünftigen

In der Tat hat sich vielköpfige wissenschaftliche Expertise nicht nur auf den verschiedenen Podien, sondern auch in der Wilhelm-Busch-Realschule und im Reinoldus- und Schiller-Gymnasium, die einen kleinen Fußmarsch vom Zeltplatz entfernt liegen, eingefunden. Der Sommerkongress ist ein Arbeitskongress. Die 1.500 „Schulschwänzer“ verbringen einen beträchtlichen Teil des verlängerten Sommerferienwochenendes in Klassenräumen.

In einigen Workshops geht es um das Klein-Klein der ökologischen Lebensführung. Obwohl wohl jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer ohne nachzudenken die eigenen Anstrengungen zur Verkleinerung des eigenen ökologischen Fußabdrucks benennen kann, sind FFF eben nicht die Öko-Bewegung der 1970er und 80er Jahre. Bei sich selbst anzufangen, erscheint allen selbstverständlich, dass es nicht reichen wird, ist Konsens.

Also wird es groß – und praktisch: Für Workshops zu inhaltlichen Vertiefungen sind ProfessorInnen und DozentInnen aus der ganzen Republik angereist. Der größere Teil der Workshops beschäftigt sich jedoch mit dem „Wie“ der Kampagnenarbeit: Storytelling und politisches Framing, Strategieentwicklung und Interviewtraining. Dass man sich stellenweise an Agentur-Coachings oder GründerInnenseminare erinnert fühlt, sagt vielleicht nicht nur etwas über den Professionalitätsgrad der „Fridays“, sondern auch über den früherer sozialer Bewegungen.

Paradoxerweise ist dieser Zug zur Praxis eher Ergebnis einer Fakten-, Theorie- und Wissenschaftsfokussierung der Bewegung: Die Jugendlichen, die nach Dortmund gekommen sind, wissen erstaunlich viel. 15-Jährige kennen nicht nur die Eckpunkte des Pariser Klimaabkommens oder den Sonderbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zu den Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad, sondern auch über die aktuelle Dekarbonisierungs-Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung. „Ein halbes Jahr ist gar nicht so wenig, um inhaltlich fit zu werden“, sagt Laura, die seit der ersten Kölner FFF-Demo dabei ist. Doch die vielleicht zentrale Frage, die die TeilnehmerInnen mit nach Dortmund gebracht haben, ist die nach der Durchsetzung des Vernünftigen.

Revolutionäre Reformen?

„Das Problem ist bekannt“, sagt Clara, die aus Mannheim nach Dortmund gekommen ist, „genauso wie der Lösungsweg und die Folgen, wenn wir es weiter ignorieren.“ Und weiter: „Die Bundesregierung verfehlt bislang bewusst die beschlossenen Klimaziele. Wir fordern erst einmal nichts weiter, als die Verträge einzuhalten. Das geht aber nicht mit Nichtstun.“ Die weiteren Forderungen der Bewegung – Kohleausstieg bis 2030, Netto-Null-Emissionen und 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035 – sind für die AktivistInnen keine erste Verhandlungsposition. Sie sind das Gebotene. Clara: „Wir können nicht sagen: Das Klima ist uns wichtig, CO2 in die Luft blasen ist für euch wichtig, treffen wir uns in der Mitte.“

Vielleicht ist es dieses grundsätzlich andere Politikverständnis, das AktivistInnen älterer Bewegungen wie PolitikerInnen so irritiert. Für die „Fridays for Future“ ist die Klimakatastrophe gewissermaßen „überpolitisch“ und sie ist objektiv. Das gilt für ihre hochprofessionellen SprecherInnen auf den Podien wie für die zum Teil sehr jungen Teilnehmenden. Gleichzeitig ist sie politisch, durch Regierungshandeln zu lösen. Diese Vorstellung, die Revolution gleichsam als Reform beschließen zu können, trägt den jungen AktivistInnen mitunter missmutige Kritik von links ein.

Andererseits: Seit einem halben Jahr prägt die Bewegung die Debatte um die Klimakatastrophe. Der SchülerInnenprotest hat nicht nur Druck auf die Politik erzeugt – ohne sie würde über eine CO2-Steuer wohl nicht diskutiert –, sondern auch Raum für WissenschaftlerInnen und ihre Expertise in fast allen Medien freigekämpft. „Naja“, sagt Clara, „würden wir die Politik vor uns hertreiben, wie manchmal geschrieben wird, würde sie sich ja bewegen. Das tut sie noch nicht ausreichend.“ In aller Munde zu sein, Themen setzen zu können, fühle sich gut an, „aber wir brauchen Ergebnisse.“

Schlüsseldatum dafür ist der 20. September: Am Freitag vor dem UN-Klima-Sondergipfel und am Tag, an dem das Klimakabinett der Bundesregierung Beschlüsse zur CO2-Reduktion fassen will, rufen die „Fridays for Future“ zum weltweiten Klimastreik auf.