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Kennenlernen in Hochgeschwindigkeit

Die Dortmunder Nordstadt ist seit jeher Ankunftshafen für Zureisende. Menschen aus aller Welt leben in dem Stadtteil zusammen und nebeneinander her. Der Planerladen e.V. und das Dietrich-Keuning-Haus wollen „alte“ und „neue“ DortmunderInnen zusammen bringen – beim „Speed-Dating der Kulturen“ haben sie vier Minuten Zeit dafür.

Nach „Speed-Dating“ sehen die Stuhlkreise auf den ersten Blick so gar nicht aus, die da im Foyer des Dietrich-Keuning-Hauses stehen. Obwohl: Diese hier sind anders; sie sind so gestellt, dass sich ein Kreis um einen kleineren zieht, sodass sich hier gleich immer zwei Leute gegenübersitzen werden. Die ersten Gäste suchen sich schon einen Platz: ältere und junge; Menschen mit roten, weißen, schwarzen, blonden Haaren; sie oder ihre Eltern oder Großeltern, werden sie einander später erzählen, kommen aus der Türkei und aus Dresden, aus Ghana, Syrien, Köln oder Dortmund.

Zum fünften Mal haben das Dietrich-Keuning-Haus am Eingang zur Nordstadt und der Planerladen zum „Speed-Dating der Kulturen“ eingeladen. Die Idee ist schnell erklärt: „Es geht darum, Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander ins Gespräch zu bringen, Begegnung zu ermöglichen“, sagen Ali Șirin vom Planerladen und Levent Arslan vom Dietrich-Keuning-Haus, die die Veranstaltung organisieren. Und es geht auch darum, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen gegenüber denen, die man eigentlich in der Schublade „fremd“ abgelegt hat.

Begegnung zwischen zwei Gongs

Heute sind nicht ganz so viele Gäste gekommen wie sonst, dafür ganz schön viele neue: Knapp ein Drittel hebt die Hand auf die Frage, wer heute zum ersten Mal teilnimmt, also erklärt Moderatorin Leyla Brust nochmal die Regeln: Zwei sich gegenübersitzende Menschen haben vier Minuten für ein Gespräch. Ein Gong gibt das Startsignal, einer stellt Fragen, nach zwei Minuten ist die andere dran. Nach vier Minuten wieder ein Gong, die im inneren Kreis stehen auf und rücken eins weiter. Wer vielleicht ein bisschen Starthilfe braucht, um in ein Gespräch einzusteigen, hat einen kleinen Handzettel mit Fragen auf dem Stuhl: Was sind deine Hobbys? Welche Wünsche, Hoffnungen hast du für die Zukunft? Was ist dir wichtig? Am Anfang haben noch einige so einen Zettel in der Hand, die meisten werden ihn schon bald weglegen.

Gong. Runde eins startet. Und überall geht das Gemurmel los. Wer sich umschaut, merkt schnell, wie unterschiedlich die jeweiligen Paare sind, die sich hier jeweils für ein paar Minuten zusammenfinden: jüngere und ältere, eher schick gekleidete und eher sportliche, die Amtsträgerin und der Student. Menschen, die, wenn sie sich woanders begegneten, wahrscheinlich nicht mal eben ins Plaudern kämen. Hier und heute ist es ganz einfach. Vielleicht ist auch das etwas, was man an so einem Abend mitnehmen kann: dass Menschen spannend sind, auch wenn sie ganz anders sind.

Gong. Zwei Minuten sind vorbei, jetzt ist das Gegenüber dran mit fragen. Eigentlich. In der Praxis halten sich nur wenige an diese „Regel“ – warum auch, wenn sie nicht gebraucht wird. Man kann ein bisschen ins Staunen geraten, wenn man mitbekommt, wie vielfältig die Themen sind, um die es geht – und wie persönlich. Da sind die beiden jungen Frauen, die eine vielleicht 17, die andere etwa Anfang 20, die genau wissen, wie es ist, die älteste Tochter zu sein und damit umzugehen, dass die Mutter manchmal einfach strenger ist als bei den Geschwistern. Da sind die beiden Frauen, die in „ihren“ vier Minuten darüber sprechen, wie schwer es fallen kann, die erwachsen werdenden Kinder loszulassen. Gong, die erste Runde ist vorbei, die im inneren Stuhlkreis rücken eins weiter, die im äußeren Kreis bleiben sitzen. 2016 hat die Veranstaltung Premiere gefeiert, in einer Zeit, in der Dortmund gerade um ein paar tausend Menschen gewachsen war und viele Angebote, Einrichtungen und Veranstaltungen entstanden, um „die Neuen“ und „die Alten“ zueinander zu bringen. Institutionell ist das „Speed-Dating der Kulturen“ Teil des Inklusionsprojektes INKLUDO und des Antidiskriminierungsprojektes.

„Vier Minuten sind zu kurz“

Gong, die nächste Runde. Als der junge Mann erzählt, in welchem Dortmunder Krankenhaus er bald seine Ausbildung beenden wird, lächelt seine Gesprächspartnerin – sie wird in ein paar Monaten dort anfangen. Ein netter Zufall, auch wenn beide sich dort nicht begegnen werden. Ein paar Stühle weiter schildert eine Frau dem jungen Mann gegenüber, welchen Vorurteilen sie anfangs begegnete, als sie vor ein paar Jahrzehnten mit sächsischer Biografie und dazugehörigem Dialekt aus Dresden nach Dortmund zog. Gong. So geht es einmal im Kreis herum, ungefähr zehn kurze Begegnungen kommen so pro Person zustande. Nach gut einer Stunde sind die Kreise einmal herum gewandert, am Buffet geht‘s, jetzt ohne Stoppuhr, weiter.


Meltem ist 22 Jahre alt und zum zweiten Mal hier. Im vergangenen Jahr hat die Dortmunder Studentin an einem ähnlichen Treffen mit PolitikerInnen teilgenommen, „aber das hier ist viel interessanter, viel authentischer, nicht so aufgesagt“, findet sie. Auch Firas ist heute zum zweiten Mal hier. „Ich mag es einfach, neue Leute kennenzulernen, und hier geht das.“ Er arbeitet in einem Nachbarschaftstreff für Zugewanderte und Geflüchtete und hat darum jeden Tag mit Menschen zu tun, die aus vielen Ländern der Welt nach Dortmund kommen. „Ich mag das Multikulturelle hier“, sagt er. Michael wollte eigentlich nur seine Nichte vom Auftritt mit ihrer Schülerband abholen. Als er erfuhr, was heute los ist, ist der Kölner spontan geblieben – und hat Gefallen gefunden. „Vier Minuten sind leider ganz schön kurz. Aber ich habe heute ein paar interessante Gespräche geführt, über die ich sicher noch ein paar Tage nachdenken werde.“

Meryem kennt die Speed-Datings schon und resümiert: „Man bekommt einen tollen Einblick in die Leben und Geschichten anderer Menschen, das ist wirklich spannend.“ Und man knüpft Kontakte: Sie und Firas haben Nummern ausgetauscht, vielleicht kann sie ihm bei der Suche nach einem Praktikumsplatz helfen. Auch andere Tandems haben heute Zettel, Visitenkarten, Handynummern weitergegeben. Vielleicht bleiben einige der Gäste von heute in Kontakt, vielleicht werden aus einigen Begegnungen Freundschaften. Dann hätte die Veranstaltung ihr Ziel erreicht.